Themenparks und Erlebniswelten

50 Jahre Disneyland 1955-2005

H. Jürgen Kagelmann

Es verspricht eine rauschende Party am 17. Juli in Anaheim, Kalifornien zu werden, dem Jahrestag der Gründung des wichtigsten Themenparks weltweit, – auch wenn sehr wahrscheinlich nicht, wie beim 25. Jahrestag, Michael Jackson als Ehrengast dabei sein wird. Disneyland, die Inkarnation des Freizeit-Vergnügungs-Themenparks überhaupt, also besteht jetzt seit 50 Jahren, im Januar 2004 kam der 500.millionste Besucher. Alle US-Präsidenten haben den Park besucht, und eine nicht mehr zu zählende Menge von ausländischen Staatsoberhäuptern und Potentaten – nur Nikita Chruschtshow nicht. Der wollte zwar 1960 in das damals schon bei den kommunistischen Russen bekannte Vergnügungsmekka fahren und sogar Disneys Frau Lilian, die die Nase voll hatte von dem ständigen Ansturm der very important people, hatte sich auf den Besuch gefreut, da winkte der amerikanische Staatschutzdienst ab, zu gefährlich. Der Russe war so sauer, dass er in einer seiner gefürchteten Zornausbrüche geriet und drohte, er werde einen viel schöneren Vergnügungspark in Moskau gründen (dazu kam es allerdings nicht).

Die Erfolgsgeschichte Disneylands ist bekannt, aus dem kleinen Park ist mittlerweile ein ganzes Resort mit drei Hotels, einer Vergnügungsmeile und einem zweitem Park ge¬worden – aber vor 50 Jahren sah es nicht so gut aus.

Die letzten Tage vor der Eröffnung des Parks müssen für alle Beteiligten schlicht grauenhaft gewesen sein, denn es war so gut wie nichts richtig fertig geworden, an allen Ecken und Enden musste improvisiert werden und der Opening Day blieb allen als „Black Sunday“ in Erinnerung – nur der Chef selbst hatte in seinem unerschütterlichen Selbstbewusstsein Nerven wie Draht: Walt Disney war von seiner Idee so überzeugt, dass er es immer wieder schaffte, allen Zweiflern, angefangen von seinem meistens knauserigen Bruder Roy über die misstrauischen Banken und die skeptischen Medien, Optimismus einzuimpfen. In L.A. gab alle Welt dem Park höchstens ein Jahr bis zur Pleite. Übrigens wird zwar Sonntag, der 17. Juli als „Erster Tag“ begangen, damals aber durften nur Presseleute und eingeladene wichtige Gäste in den Park; der eigentlich erste Tag war der 18. Juli (Eintritt 1 $ für Erwachsene). Am Eröffnungssonntag also kamen über 28.154, nach anderen Schätzungen sogar 33.000 Besucher in die neue Wunderwelt (mindestens die Hälfte davon war einfach ohne Ticket über die Zäune gestiegen oder mit gefälschten Karten hineingekommen). Disneys clevere Propaganda – seit Oktober 1954 gab es die über jeden Fortschritt des Parks berichtende TV-Show „Disneyland“ – hatte sich ausgezahlt. Der relativ kleine Park (32 Ha) wurde von Neugierigen schier überflutet. Dutzende von Filmstars waren gekommen, Frank Sinatra und Sammy Davis jr. fuhren „Autopia“, die Filmstars James Mason und Jeff Chandler schlugen sich darum, wessen Kind zuerst auf dem Karusselpferd reiten durfte. Und der Fernsehsender ABC übertrug die Eröffnung mit einem nie da gewesenen Aufwand; einer der Kommentatoren war der spätere Präsident Ronald Reagan.

Bloß, fertig war der Park nicht, obwohl noch in der Nacht zuvor fieberhaft gearbeitet worden war. Selbst Disney hatte mit Hand angelegt und mit einer Sprühdose gearbeitet. Es gab viel zu wenige Toiletten. Als Folge eines früheren Streiks funktionierten die Wasserspender nicht. Bald waren die Essvorräte ausverkauft. Eine lecke Stelle in Tomorrowland liess Gas ausströmen. Einige Angestellte waren versehentlich in Viehwagen eingeschlossen worden. Sogar Sabotage kam vor (bis heute weiß man nicht, wer die elektrischen Kabel durchschnitt, so dass Gäste in Gondeln und Wagen strandeten). In Tomorrowland war so wenig fertig, dass Disney Unmengen von Luftballons anbringen ließ, um darüber hinwegzutäuschen. Die Taufe des Dampfers „Mark Twain“ klappte nicht, weil die Champagnerflasche nicht zerschellte, das Pferd des damals sehr beliebten Davy Crockett-Darstellers Fess Parkers ging durch und verwüstete die Blumenanlagen, der „Mr. Toad-“Ride und der „Casey Jr. Circus Train“, fielen wegen Elektroproblemen komplett aus. Das Personal, das vor allem von anderen Vergnügungsparks abgeworben worden war, zeigte sich rüde und aggressiv. Frauen versanken mit ihren Absätzen im frisch gelegten Asphalt, der bei 43 Grad schmolz. Es kam zu einem riesigen Verkehrschaos auf den Anfahrtswegen.

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Mit dem, was damals angeboten wurde, könnte man heute vermutlich noch nicht einmal mehr in Papua Neuguinea Besucher anziehen. Die Zahlen schwanken von 17 bis 22 Hauptattraktionen – je nachdem, was man als Attraktion bezeichnet – die in fünf „Ländern“ (Main Street, U.S.A.; Adventureland; Frontierland; Fantasyland; Tomorrowland) zu erleben waren: Disneys Lieblingsspielzeug, die „Disneyland Railroad“, ein Kino mit Disney Zeichentrickfilmen („Main Street Cinema“), der Kiddieautoselbstfahrer „Autopia“ die Teetassen („Mad Tea Party“), die Dark Rides „Mr. Toad’s Wild Ride“ und Schneewittchen („Snow White’s Adventures“), der Indoor Flythru „Peter Pan’s Flight, das Dornröschenschloss, das Mark-Twain-Riverboat, der berühmte Jungle Cruise mit seinen Robotertieren, ein 360 Grad-Kino „Circarama, USA“, der zweite Flieger „Jet Ride“ (später mehrmals umbenannt, heute „Astro Orbiter“), ein „Micky Mouse Club Theater“, das sich die unglaubliche Beliebtheit der gleichnamigen Fernsehserie zu Nutzen machte, die dann über 30 Jahre laufende „Golden Horseshoe Revue“, das prächtige „King Arthur Carrousel“ (ein 1987er Dentzel Karussell, das man in Coney Island, nach anderen Berichten in Toronto gefunden und sorgfältig renoviert hatte, mit 72 weißen individuell angemalten Pferden), der etwas einfache Simulationsflug „Rocket to the moon“, „Space Station X-1“ (eine Art Satellitenblick auf Amerika aus dem Weltraum), eine die Weltzeit anzeigende Uhr, 50 Shops und 20 Restaurants.

Die Konstruktion des Parks unter einem schon zwanghaft qualitätsbewussten Disney hatte alles vorhandene Geld verschlungen: der Park kostete die damals erstaunlich hohe Summe von 17 Mio. $. Ursprünglich hatte Disney nur 3,5 Mio. ausgeben wollen. Ermöglicht wurde die Konstruktion nur dadurch, dass der Fernsehsender ABC 0,5 Mio. $ investierte und einen Kredit über 4,5 Mio $ bereitstellte – im Gegenzug für Disneys Zusagen, Shows für den Sender zu produzieren. Daher wurden erst, nachdem durch die nicht enden wollenden Massen jeden Tag neues Geld in die Kassen gespült wurde, viele der wirklichen Attraktionen, die man heute ganz automatisch als typisch Disneyland kennt, in den folgenden Monaten und Jahren aufgestellt: 1955 noch u.a. der über alle Massen beliebte „Dumbo“-Flieger, der Walkthru „20.000 Meilen unter dem Meer“ nach dem großen Disneyrealfilmerfolg, die (gemächliche) Bootsfahrt mit den „Mike Fink Keel Boats“, den „Phantom Boats“, der „Rocket to the Moon“. 1956 u.a. das Indianische Dorf, der „Rainbow Caverns Mine Train“ (als Vorläufer des berühmten Thunder Mountain Coasters von Vekoma), 1956/57 die langsame Kanalbootfahrt „Storybook Land“, die Davy Crocket-Boote (wo die Gäste selbst mit paddeln durften), die „Skyway”-Gondel; 1958 kam das Grand Canyon Diorama, das man während der Fahrt mit der Disneyland Railroad sieht, der Dark ride „Alice in Wonderland“ und das Segelschiff California dazu.

1959 der erste Thrill ride „Matterhorn Bobsleds“ (1978 erneuert) mit immer langen Schlangen von Besuchern, die Ein¬schie¬nenbahn Monorail (eröffnet vom damaligen Vizepräsident Richard Nixon 1959) und die Unterwasserreise „Submarine Voyage“, 1963 die erste Audio-Animatronics-Show „Enchanted Tiki Room“ und das Geisterhaus „The Haunted Mansion“ (der Ride erst 1969), 1966 „It’s a small world“, 1967 der berühmte „Pirates of the Caribbean“-Indoor-waterride, Disneys Version der unaufhaltsamen technischen Fortschritts „Carousel of Progress“ mit seinen rotierenden sechs Bühnen, und der ruhige „People Mover“. „Bear Coun¬try-Land“, später „Critter Country“ genannt, kam 1972 dazu, der New Orleans Square-Bereich erst 1966. Das Tomorrowland wurde 1967 (und später immer wieder, zuletzt 1998) remodelliert. 33 weitere Millionen $ gab Disney für seine Erweiterungen in den ersten zehn Jahren aus.

Heute ist Disneyland für seine schön thematisierten Rides und superprofessionellen Shows bekannt. Damals in den ersten Jahren gab es allerdings auch einige etwas merkwürdige Dinge – Maultiere („Mule Pack“) für Kinderritte; Wildwestkutschen („Stage Coach“) und Planwagen, ein indianisches Dorf mit authentischen Zeremonialtänzen, ein Barbecue-Restaraunt „Zum Silbernen Banjo“, gesponsorte Ausstellungen über Chemie („Monsanto Hall of Chemistry“, Energie („The World Beneath Us“), Aluminium („Hall of Aluminium Fame“ mit Kit, dem Aluminium pig, der ersten Nicht-Disney-Figur im Park), ja sogar eine richtige Bank (mit Mickey Mouse-Checks), ein Instrumentengeschäft von Wurlitzer, eine Ausstellung „Bathroom of Tomorrow“, ja sogar ein Miederwarengeschäft (!) „Intimate Apparel“ von Hollywood-Maxwell.

So chaotisch der Eröffnungstag war, so ungeheuer erfolgreich waren die folgenden Jahre. Der millionste Gast wurde schon nach acht Wochen gezählt. Allerdings auch ein Rückschlag im ersten Winter und ein Fehlschlag: Disney organisierte einen Circus, der das erste totale Fiasko wurde: Ausgebrochene Lamas, betrunkene Zirkusleute, ein Panther, der einen Tiger angriff. Danach „lief“ der Park. Schon im ersten Jahr nahm man 10 Mio $ ein, ein Drittel der Gesamteinnahmen der Walt Disney Productions. Und die Rekorde überschlugen sich. Im Oktober 1956 wurde die fünftmillionste Eintrittskarte verkauft, am 31. Dezember 1957 schon die 10-millionste. Der 100.millionste Gast wurde am 17. Juni 1971 gezählt. Die jährlichen Besuchszahlen sind in ihrer Steigerung atemberaubend.

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Disney hatte übrigens schon seit 1937 mit der Idee gespielt. 1948 war es konkreter geworden: er wollte einen kleinen „Mickey Mouse-Park“, dann „Disneylandia“ gegenüber seinem Studiogelände in Burbank errichten, mit Achterbahnen, Riesenrädern, Eisenbahnen und einer Besichtigungsfahrt durch die Studios. Weil sich u.a. aber die Stadtverwaltung von Los Angeles weigerte, einen nötigen Bahnanschluss zu bauen und das Gelände auch zu klein sein würde, wurde nichts daraus. Die eigentliche Planung begann 1953 mit der Gründung einer nur Walt Disney selbst gehörenden Firma, WED Enterprises, die anfangs in einem alten Bungalow in Burbank hauste.

Disney und seine Mitarbeiter hatten viele amerikanische und euro¬pä¬ische Parks besucht, weniger der Rides wegen als vielmehr um das Managen von großen Menschenmassen zu lernen (besonders gefiel ihm der dänische Tivoli wegen seiner sauberen und fröhlichen Atmosphäre), aber auch außergewöhnliche Bauwerke wie die Ludwig II-Schlösser in Bayern (das Sleeping Beauty-Castle in Disneyland ist Neuschwanstein nachempfunden), und vor allem Weltausstellungen und Museen. Disney war stets flexibel und aufgeschlossen, und nie irgendwelchen traditionellen Grenzen von Architektur, Kunst und Unterhaltung verhaftet. Er wollte mehr als nur eine stationäre Kirmes, etwas total Neues – Museum, Ausstellungscenter, Spielplatz, Park, Theater, Show, Filmstudio in einem. In dem, was er aussuchte und zusammenstellte, hatte er ein außergewöhnliches Gespür für die Psychologie der Massen. Deshalb strömten die Amerikaner auch in Millionen in seinen neuartigen Vergnügungspark, während die Kritiker damals wie heute die Augenbrauen hochzogen, von Kitsch und Plastik und Künstlichkeit murmelten, und genau dieses Volk wegen ihres Geschmacks und ihrer Vorlieben verachteten.

Allerdings ist erst in den letzten Jahren, nachdem die strikte Heldenverehrung im Konzern gelockert worden ist, deutlich geworden, dass wesentliche konzeptionelle Anteile an Disneyland auf das Konto einer Vielzahl höchst kreativer Künstler und Ideengeber der „Imagineering“-Abteilung gehen. Der vor einem Jahr verstorbene John Hench hatte beträchtliche Teile des Grundkonzeptes von Disneyland erarbeitet und die „psychologische“, Sicherheit und angenehme Atmosphäre vermittelnde Struktur und Architektur, das Design des Parks geschaffen.

Disneylands Erfolgsgeschichte ist aber nicht ohne Brüche. Nachdem der Park in den 60er Jahren zu „der“ amerikanischen Ikone überhaupt geworden war und auch mit ständig neuen Attraktionen aufwartete, kam es zu einer eher lähmenden Phase in der Zeit der Disney-Nachfolger um Card Walker und Disney-Schwiegersohn Ron Miller, die sich vor Neuerungen und Investitionen scheuten, so dass Anfang der 80er Jahre der Disney-Konzern in eine schwere Krise trudelte, die fast mit der Zerschlagung geendet hätte. In einer spannenden Nacht– und Nebel-Aktion wurde damals ein neues Management unter Michael Eisner und Frank Wells institutionalisiert, das es schaffte, 1984 den kurz vor der Zerschlagung stehenden Disney-Konzern wieder auf Kurs zu bringen. Denn die Besucherzahlen der Disney Parks waren Anfang der 80er Jahre vier Jahre in Folge zurückgegangen. Die Kids verlangten immer neuere, schnellere, rasantere Attraktionen und fuhren lieber in Magic Mountain Achterbahn als in Disneyland Karussell. Zu den ersten Disneyland-Verbesserungen von Eisner/Wells gehörten das Showzentrum „Videopolis“ (1985), der mit Spezialeffekten gefüllte Michael Jackson-3D-Film „Captain EO“ (der mit seinen 17 Mio $ Herstellungskosten übrigens für die Errichtung von ganz Disneyland ausgereicht hätte, 1986), der Simulationsride „Star Tours“ (1987, gestaltet von George Lucas; der Star Wars-Macher ist ein alter Disneylandfan, er war auch am Eröffnungstag von Disneyland dabei gewesen) und „Splash Mountain“ (1989) – der Waterride ist vielleicht der typischste Disney-Ride: eine originelle Reise durch die Szenen eines Disney-Films, die 100 audioanimatronische Figuren zeigt und eine unvergessliche Schuss¬fahrt im 45-Grad Winkel in ein Dornengebüsch bietet.

Trotz einiger Rückschläge – z.B. 1984 ein dreiwöchiger Streik der Disneyland-Angestellten, als Lohnkürzungen verordnet wurden, Anfang der 90er Jahre Besucherrückgänge als Folge von Rassenunruhen, Irak-Krieg und Wirtschaftskrise – gab es in der ersten Hälfte der 90er Jahre eine wahrlich goldene Phase: 1995 verbuchte man das Rekordergebnis von 15,5 Mio. Besuchern.

In den letzten zehn Jahren allerdings ließ ein gnadenloses Shareholder-Bewusstsein das Eisner-Management viele Fehler machen und vor allem den Verdacht aufkommen, das ursprüngliche legendäre Disney-Qualitätsbewusstsein werde all¬mählich aufgegeben. Die Sparverschnittversion des 2001 eröffneten zweiten Anaheim-Parks, „Disneys California Adventure“, hat das perfekte Image des Originalparks trüben lassen.

13,4 Mio. Menschen haben 2004 die Tore von Disneyland Anaheim, 43 km. südöstlich von Los Angeles gelegen, passiert, nach dem Magic Kingdom in Walt Disney World, Orlando, also der besuchermässig wichtigste Freiezit-/Themenpark der USA. Heute gibt es acht thematisierten Ländern auf jetzt 350,000 qm., rd. 60 Attraktionen, 60 Shops, 41 Gelegenheiten für Essen und Trinken (angeblich werden über 4 Millionen Hamburger jährlich konsumiert).

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Viele Geschichten passierten in den 50 Jahren. Wer weiß schon, dass die berühmten Erstentwürfe von Disneyland, die die Fernsehsender zu den dringend benötigten Krediten verlocken sollten, von dem genialen Zeichner Herb Ryman innerhalb eines Wochenendes (!) geschaffen wurden? Oder dass zwischen dem ersten Spatenstich und dem Eröffnungstag genau 11 Monate vergingen? Und dass die Eröffnung fast geplatzt wäre, weil die Asphaltarbeiter auf den Strassen im County Anfang Juli streikten? Dass die inoffizielle Eröffnung des Parks vier Tage früher geschah, weil damals Walt und Lilian Disney mit einer Party auf dem Mark Twain Schaufeldampfer ihren 30. Hochzeitstag feierten, die allerdings mit einer grossen Peinlichkeit endete, weil Disney fürchterlich betrunken war? Oder dass der in seinen Park verliebte Disney sich ein Apartment über dem Feuerwehrhaus einrichten ließ, das kein Pressefotograf aufnehmen durfte – erst 1963 gab es das erste Bild in National Geographic. Oder dass russische Journalisten, die den Park 1957 besuchten, kolportierten, in Disneylands Frontierland werde eine Gruppe Indianer gefangen gehalten, sie hatten das „indianische Dorf“ falsch verstanden. Dass Mitglieder des FBI kostenlos in den Park durften, weil Walt Disney mit dessen Chef J. Edgar Hoover befreundet war. Wer weiss schon, dass das Disneyland-Hotel zwar drei Monate nach dem Park eröffnete, aber erst 1988 von Disney erworben wurde? Oder dass es Ende der 80er Jahre Pläne gab, in Long Beach einen Meerestierpark DisneySea als Ableger von Disneyland zu bauen, der in einem riesigen Hafenkomplex Port Disney liegen sollte? Jahrzehnte lang gab es übrigens Eintrittstickets in verschiedenen Wertstufen; erst als 1971 Magic Mountain in der Nähe mit einem all inclusive-„Passport“ aufmachte, stellte man sich auch bei Disney um, und ab 1982 gab es nur noch einen Einheitspreis für alle Attraktionen. Und – für die Geschichte der Themenparks nicht unwichtig – hier in Disneyland wurde auch die Idee des neuen Disney-Angestellentyps, des Castmembers geboren – jeder Angestellte ist ein Teil der mächtigen Inszenierung und hat sich jederzeit professionell (nach einem umfangreichen Vorschriftenbuch) extrem kundenfreundlich zu verhalten.

Der Park hat in den letzten, ökonomisch sehr turbulenten Zeiten durch die Etablierung des dritten Hotels (Disneys Grand Californian Hotel) und einer typischen Funzone, Downtown Disney, sicher an Profil in Richtung Destination Park gewonnen. Neue spektakuläre Attraktionen allerdings gab es in Disneyland schon seit längerem nicht – obwohl die Eintrittspreise konstant gestiegen sind und aktuell für einen Erwachsenen/einen Tag stolze 73 $ betragen. Am Original-Disneyland schätzen Kenner immer noch den Nostalgietouch von Disneyland oder die Enge, die eine besondere Erlebnis¬dichte hervorruft, wie sie kein anderer Park bietet. Einige Rides sind auch besser als anderswo, etwa der „Pirates of the Caribbean“-Ride in Anaheim länger, der Peter-Pan-Ride und der Space Mountain-Coaster besser als die Pendants in Walt Disney WorldOrlando, außerdem gibt es in Anaheim ein Unikum – die patriotische Robotershow „Great Moments with Mr Lincoln“. Aber wer einen typischen Disney-Urlaub mit allem Drum und Dran erleben will, der muss einfach nach Florida gehen, wo so sehr viel Platz und Angebot und Gelegenheit für alles ist.

Wie ist die Zukunft einzuschätzen? Disneyland ist nicht mehr so einzigartig wie vor 40 oder 50 Jahren, die wesentlichsten Disney-Attraktionen finden Besucher auch anderswo (gerade vier Rides gibt es nur im kalifornischen Disneyland: „Indiana Jones Temple of the Forbidden Eye“, „Alice in Wonderland“ und „Matterhorn Bobsleds“, sowie „Roger Rabbit’s Car Toon Spin“ im Toontown). Die Konkurrenz in der unmittelbaren Umgebung, wie Six Flags Magic Mountain (mit den Coastern Colossus, Revolution, Viper), Knotts Berry Farm oder die Universal Studios, zieht enorm viel Potential von Disney ab. Viele der Originalattraktionen haben bedenklich Patina angesetzt (Fantasyland erhielt das erste größere Redesign erst 1983; in Adventureland gab es mit „Indiana Jones“ sogar erst 40 Jahre nach der Eröffnung 1995 einen neuen Ride). Vor allem fragen sich Parkkenner, ob die Idee des „Familien“-Parks heute noch zeitgemäß ist: Jugendliche und junge Erwachsene finden bei Disney nur wenige thrill rides. Das zuletzt eröffnete neue Land (1993) war „Toontown“, ein Spaß für die Kleinen. Schließlich das größte Problem: zum weiteren Ausbau ist in Disneyland einfach kein Platz vorhanden. Etwas wie die Himalaya-„Expedition Everest“-Achterbahn, die gerade in Disney World (Animal Kingdom) Orlando gebaut wird, ist im Anaheim-Park schon aus Platzgründen unmöglich. Zum 50. Jahrestag wird es unter der Parole „The Happiest Homecoming on Earth” in Anaheim viel Party geben, viele Paraden und Shows, neue historische Ausstellungsstücke und 50 „hidden Micky-ears“ werden präsentiert, das Dornröschenschloss neu dekoriert, „Space Mountain“ wird aufpoliert und erhält wie in Paris neue Fahrzeuge, einen neuen Launchbereich und neue special effects, aber – und das stimmt alle Disney-Freunde bedenklich – es gibt leider keine einzige neue Attraktion. Was war das Erfolgsrezept von Disney(land)? Eigentlich sind es fünf Faktoren: Der unerschütterliche Glaube an die Idee des Familienparks: einen Park zu schaffen mit einem Angebot für alle Familienalter, etwas, wo Eltern und Kinder sich zusammen unterhalten könnten. Die Synergie-Idee: Mit dem „content“ des multinational operierenden Medienunternehmens – den Charakteren, den Geschichten, den Filmen, Comics usf. – im Hintergrund etwas zu haben, das auch in anderer, sozusagen dreidimensionaler Form funktioniert. Die durchgängige Thematisierung, die viel mehr ist als eine oberflächliche Gestaltung, sondern filmisch aufgebaute Geschichten bietet, die man erleben kann, und eine eingängige Strukturierung des Angebotes in „Länder“. Dann der Faktor Qualität, Disneys Credo, das leider später immer mehr in den Hinterrund trat. Und schließlich „Imagineering“ – eine etablierte, kontinuierlich arbeitende kreative Denkfabrik, die dafür sorgte, dass – in Disneys Worten – „Disneyland nie wirklich zu Ende gestellt sein würde“, sondern der Park weiter entwickelt werden konnte. Diese Dinge, plus eine Extraportion US-amerikanischen Chauvinismus, und – nicht zu vergessen – die Erfindung des Sponsor-Konzeptes, haben Disneyland zu dem gemacht, was es heute ist. Der historische Verdienst Walter Elias Disneys für die Entwicklung einer eigenen Unterhaltungs-Freizeit-Sparte, den Themenparks, kann überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und wer sich in den erfolgreichen, auch deutschen und europäischen Parks umschaut, wird finden, dass man hier von Disney enorm gelernt und vieles abgeschaut und übernommen hat.

(bearb. Fassung eines ursprünglich in der Fachzeitschrift „Kirmes- und Park-Revue“ GIMI-Verlag Juli 2005, S. 66-71, erschienenen Artikels. Dort finden sich auch viele weitere Fotos. Stand 30.04.05)

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