Günther, Armin; Hopfinger, Hans; Kagelmann, H. Jürgen & Kiefl, Walter (Hrsg.)
Tourismusforschung in Bayern

Bibl. Daten
München/Wien: Profil-Verlag 2006, 1. Aufl., Hc.. 480 S., ca. 35 Abb., ca. Euro (D) 46,00 Mit Beiträgen von Werner Bätzing, Ingo Bartha, u.a. ISBN 3-89019-592-x

VORWORT der Herausgeber

Bayern gehört ohne jeden Zweifel zu den führenden touristischen Destinationen innerhalb Deutschlands. Die Bedeutung, die dem Tourismus in Bayern zukommt, spiegelt sich eindrucksvoll in wirtschaftlichen Kennzahlen wider: So wird der Bruttoumsatz aus dem Tourismus in Bayern gegenwärtig auf fast 24 Milliarden € geschätzt; über 420.000 Personen – knapp 10% der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Bayern – sichert die Branche ein Einkommen. Was hinter diesen Zahlen steht, sind die Präferenzen und Wahlentscheidungen vieler Tausend, ja Millionen von Menschen, die Jahr für Jahr Bayern als Touristen bereisen. So kommt in den ökonomischen Größen nicht zuletzt zum Ausdruck, dass Bayern, wie wohl kein anderes Bundesland, den Vorstellungen vieler Reisender von landschaftlicher Schönheit und kultureller Eigenart entspricht und dass Bayern wie kein anderes Bundesland das Bild, das gerade ausländische Besucher von Deutschland haben, prägt.

Angesichts der Bedeutung, die der Tourismus für Bayern und die Bayern für den Tourismus besitzt, stellt sich die Frage, ob das Bundesland gleichzeitig auch zu den Hochburgen der Freizeit- und Tourismusforschung in Deutschland zählen kann. Man wird diese Frage wohl nicht mit einem klaren Ja beantworten können. Zwar gibt es – wie nicht zuletzt das vorliegende Buch belegt – an vielen Orten Bayerns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven mit tourismusrelevanten Fragestellungen beschäftigen. Doch eine institutionelle Verankerung dieser Forschung fehlt weitgehend. Weit mehr, als es der ökonomische, soziale und nicht zuletzt individuelle Stellenwert des Tourismus vermuten lässt, bleibt die Entwicklung der tourismuswissenschaftlichen Forschung den persönlichen Interessen und dem individuellen Engagement einzelner Personen überlassen. Das Resultat ist eine ebenso vielfältige wie fragmentierte Forschungslandschaft.

In dieser Situation wird mit dem vorliegenden Buch der Versuch unternommen, dem Leser einen Einblick in die tourismuswissenschaftliche Forschung zu vermitteln, wie sie in Bayern aktuell betrieben wird. Dabei konzentriert sich der Sammelband auf den Teilbereich der Tourismusforschung, der von seiner Grundausrichtung her sozial- und kulturwissenschaftlich angelegt ist. Für diese Ausrichtung gibt es zwei Gründe:

Erstens ist das Buch dem Gedenken eines Mannes gewidmet, der sich Zeit seines Lebens für psychologische, soziologische, kulturgeographische, kommunikationswissenschaftliche, pädagogische, kulturanthropologische, historische u. a. sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven in der Tourismusforschung engagiert und tatkräftig eingesetzt hat: Heinz Hahn, Diplompsychologe und langjähriger Leiter des Studienkreises für Tourismus, der im Juni 2005, wenige Wochen nach Vollendung seines 75. Lebensjahres, verstorben ist.

Zweitens sind auch die Herausgeber der Überzeugung, dass zu einem angemessenen Verständnis des Phänomens Tourismus sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven unumgänglich sind. Dem steht im deutschsprachigen Raum – anders als in der angelsächsischen Forschung – eine ausgesprochene Dominanz der ökonomisch ausgerichteten Tourismusforschung gegenüber. Ohne den Wert der wirtschaftswissenschaftlichen Tourismusforschung schmälern zu wollen, möchten die Herausgeber mit vorliegendem Band deutlich machen, dass letztlich auch der Wirtschaftsfaktor Tourismus in der konkreten soziokulturellen Lebenswelt wurzelt und ohne diese nicht verstanden werden kann.

Der Band erhebt nicht den Anspruch einer umfassenden Bestandsaufnahme oder repräsentativen Übersicht über die aktuelle sozial- und kulturwissenschaftliche Tourismusforschung in Bayern – ein Anspruch, der sich angesichts der gegenwärtigen Forschungslandschaft auch kaum einlösen ließe. Bei der Auswahl der Beiträge orientierten sich die Herausgeber weniger an spezifischen methodologischen Standards – die ja sowohl innerhalb als auch zwischen den Disziplinen sehr unterschiedlich sein können –, als vielmehr an der Zielvorstellung, aktuelle tourismuswissenschaftliche Problemfelder aus unterschiedlichen kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven (wie der Geographie, Soziologie, Psychologie, Ethnologie, Kommunikations-, Forst- oder Geschichtswissenschaft u.a.m.) zu beleuchten. Dabei wurden auch einige Beiträge von Autoren berücksichtigt, die primär in der touristischen Praxis zu Hause sind, diese Praxis aber theoretisch reflektieren. Dennoch ergibt sich im Band selbst insofern ein deutliches Übergewicht akademischer Tourismusforschung, als sowohl die Herausgeber als auch die meisten der beteiligten Autoren überwiegend an (bayerischen) Hochschulen tätig sind.

Insgesamt lassen die Beiträge – häufig Kurzfassungen aktueller Forschungsprojekte – hinsichtlich inhaltlicher Fragestellung, fachlicher Verortung, theoretischer Fundierung und methodischer Orientierung ein breites Spektrum der modernen Tourismuswissenschaft erkennen: Sie
– befassen sich mit der Geschichte der Tourismuswissenschaft in Bayern (Spode) und besonders mit dem von Heinz Hahn gegründeten und viele Jahre geleiteten Starnberger Studienkreis für Tourismus (Meyer & Meyer; Schrand);
– klären wichtige tourismussoziologische Grundbegriffe (z.B. Hopfinger; Scherle; Vester);
– schließen klassische Urlaubsformen wie Kulturtourismus (z.B. Hopfi nger; Hopfinger & Scherle; Paesler; Schmude; Seidl), Naturtourismus (z.B. Bätzing; Job & Mayer; Suda; Suda & Schaffner) oder Badeurlaub (Kiefl; Küblböck; Marinescu & Kiefl ) ebenso ein wie gerade aktuelle Varianten, etwa Erlebniswelten (z.B. Goronzy; Kagelmann & Rösch; Oechsle; Romeiß-Stracke), Wellness- (z.B. Hornung; Steinbach) und Städte- oder Shoppingtourismus (z.B. Hopfinger & Scherle; Hüttner; Monheim);
– gehen den Auswirkungen des modernen Reiseverhaltens auf Natur und Kultur in den Zielgebieten (z.B. Bartha; Elixhauser; Kah; Lintzmeyer; Maier; Moser- Weithmann; Weizenegger) und auf die Psyche von Reisenden und Bereisten (z.B. Mühlberger et al.; Scherle; Schober; Thomas & Mann) nach und untersuchen Strategien und Instrumente, diese Auswirkungen zu regulieren;
– analysieren Selbstdarstellung und Images von Fremdenverkehrsregionen (z.B. Schlaffke; Zwerenz et al.);
– untersuchen Wechselwirkungen zwischen Reisemedien, Wahrnehmung des Fremden und touristischer Nachfrage (z.B. Günther & Schäfer-Burgund; Guthmann et al.; Haas; Stark & Brettschneider; Vialkowitsch) und thematisieren wichtige Aspekte der touristischen Dienstleistungskultur (z.B. Nonnemann; Scherle; Vogel);
– beschreiben die erfolgreiche Umsetzung von theoretischen Konzepten und Strategien in die Praxis (z.B. Bätzing; Romeiß-Stracke; Schober; Seidl); – befassen sich mit ausgewählten methodischen Aspekten der Erhebung (Kagelmann & Guthmann), Auswertung (Günther & Mittel) sowie Nutzung (Bauhuber) von Daten in der tourismuswissenschaftlichen Forschung und Praxis.

Der Band zeigt des weiteren eine große Vielfalt der Zielgebiete (von Bayern bis Südamerika und Fernost) und einen deutlichen Praxisbezug (von dem allerdings potenzielle Anwender im Tourismus bisher nur zurückhaltend Gebrauch machen). Dabei lassen sich Reflexionstiefe und Differenzierungsbereitschaft u.a. daran erkennen, dass – im Unterschied zu manchen vordergründigen Trendaussagen – das Nebeneinander der einzelnen Tourismusformen und ihre jeweilige Bedeutung im Zusammenhang mit unterschiedlichen Phasen im touristischen Produktionszyklus gesehen werden (z.B. Job & Mayer; Schmude; Steinbach) und dabei stets auch die Einflüsse makrosoziologischer bzw. sozio-kultureller Entwicklungen Berücksichtigung finden.

Im Kern der Beiträge aus den verschiedenen Fachrichtungen steht die Untersuchung sozial- und kulturbedingten menschlichen Verhaltens im Spannungsfeld der Erscheinungsformen, Motive und Konsequenzen längerfristiger Freizeitmobilität als Spezifikum postmoderner Gesellschaften. Aktuelle weitreichende sozio-ökonomische Veränderungen (vor allem die um sich greifende relative Verarmung weiter Bevölkerungskreise in den bisher als wohlhabend geltenden Industrieländern), die fortschreitende Ausdifferenzierung von Lebenslagen und Lebensstilen (Individualisierung), neue technische Entwicklungen und Freizeitgewohnheiten sowie die Zunahme des Tourismus aus bislang unterrepräsentierten Entsendeländern (Schwellenländer) lassen eine weiter wachsende Variationsbreite von Urlaubsangeboten und Urlaubsformen erwarten. Die konventionelle Urlaubsreise (als in der Regel zweiwöchige Reise), auf die sich lange Zeit das Interesse der Tourismusforscher konzentriert hat, erscheint in dieser Sichtweise nur als eine Variante der Freizeitmobilität, die in einer bestimmten historischen Entwicklungsperiode des Tourismus dominierte. Unzweifelhaft ist, dass die hier nur kurz skizzierten Veränderungen mit weitreichenden Konsequenzen auch für die Tourismusforschung verbunden sein werden.

An das Buch knüpfen sich eine Reihe von Hoffnungen. Es könnte
– einen Beitrag zur Herstellung bzw. Verbesserung der Kommunikation zwischen den sich mit Tourismusfragen befassenden Disziplinen bzw. deren Repräsentanten innerhalb und außerhalb Bayerns leisten;
– Impulse für die Entwicklung und Anwendung innovativer Verfahren in der Tourismusforschung geben;
– bei der Förderung des Dialogs und der Kooperation zwischen Forschern und Anwendern tourismusrelevanten Wissens helfen;
– den Blick erweitern und die Grenzen einer zu einseitig ökonomisch ausgerichteten Betrachtungsweise bzw. Forschungsperspektive aufzeigen;
– Anregungen zur Konzipierung und Durchführung empirischer Forschungsarbeiten im Tourismus liefern.

Der Versuch, einen Einblick in die Vielfalt der sozial- und kulturwissenschaftlich ausgerichteten Tourismusforschung in Bayern zu geben, muss aber auch kein isoliertes Unterfangen bleiben. Bei entsprechender Resonanz wäre z.B. eine in zweijährigem Rhythmus erscheinende Reihe, eventuell in Verbindung mit einer entsprechenden Tagung oder Konferenz, durchaus denkbar. Neben dem unmittelbaren Nutzen könnte eine derartige Institutionalisierung wesentlich zur langfristigen Stärkung der interdisziplinären Tourismusforschung an den Hoch- und Fachhochschulen in Bayern (und im übrigen Bundesgebiet) beitragen.

Abschließend ist all jenen zu danken, die durch ihre durchwegs informativen und anregenden Beiträge, aber auch mit Rat und Tat zum Gelingen dieses Bandes beigetragen haben. Besonderer Dank gilt Herrn Dr. Otto Wiesheu, Bayerischer Staatsminister a.D. für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, und Herrn Dr. Rüdiger Leidner, Tourismus-Referent des fachlich zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums bei der EU-Kommission in Brüssel, für das Verfassen eines Vorworts. Großzügige Druckkostenzuschüsse steuerten die Bickhoff-Stiftung an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt und die Universität Augsburg bei, denen an dieser Stelle sehr herzlich dafür gedankt sei. Ein besonders großer Dank gilt auch Frau Dipl.-Ing. Alexandra Kaiser, die sich als Kartographin am Lehrstuhl für Kulturgeographie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit viel Engagement und Geduld um die Herstellung einer attraktiven Druckvorlage gekümmert hat. Für Ihre redaktionellen und lektoriellen Arbeiten ist Dr. Nico Scherle (Eichstätt) und Dr. Ingo Bartha (Bayreuth) herzlich zu danken.

Armin Günther
Hans Hopfinger
Jürgen Kagelmann
Walter Kiefl


Augsburg/Eichstätt/München im März 2006